
Kampftrinkende irische Literaten feiern den ersten Bloomsday im Jahr 1954 am Sandymount Strand*
16 Juni 2019. Dublin. Irland. Heute ist Bloomsday. Ich zitiere mich mit Rückgriff auf einen Beitrag vom 16. Juni 2009.
Der Sog der zeit- und energie-absorbierenden Onlinemedien, besonders des Social Web: Er veränderte unser Leben dramatisch und im Eiltempo. Wer sich entzieht, gewinnt Freiheit und verliert . . . den Anschluss? Die Zeitgenossenschaft? Durchschnittlich 251 Facebook-„Freunde“? Kommen wir zum eigentlichen Thema: Heute ist Bloomsday. Ein Tag, der in Irland und anderswo gerne zelebriert wird.
Über den 16. Juni 1904 soll Nora Barnacle später geäußert haben: „Das war der Tag, an dem ich einen Mann aus Jim gemacht habe“. Was sich genau am 16. Juni 1904 im Leben von James Joyce ereignete, bleibt im Dunkel der Geschichte. Historisch gesichert ist, dass er an jenem Tag seine spätere Frau Nora zum ersten Mal ausführte, und dass er den 16. Juni 1904 deshalb als Datum für seinen Roman Ulysses (Odysseus) verwendete.
Dieser fundamentale und schwer zugängliche Roman beschreibt einen einzigen Tag im Leben des Anzeigenakquisiteurs Leopold Bloom und seiner Frau Molly, einen Tag in Dublin, den 16. Juni 1904. Ulysses erschien erstmals 1922 in einer zensierten Version in Paris. Die kolossale literarische Beschreibung von Dublin und einiger seiner Bewohner wurde damals als „obszön“ verschrien. Das hat sich im Lauf der Jahrzehnte gändert. Bis heute allerdings gilt Joyce´s Hauptwerk als große Herausforderung an Generationen von Lesern: Wo beginnen, wo enden? Weil der Ulysses extrem komplex gestrickt ist und weil ihm ein traditioneller chronologischer Handlungsstrang fehlt, verschließt er sich dem schnellen Konsum – und wurde wohl gerade deswegen Kult.


Heute ist Bloomsday, und ich freue mich. Ich freue mich, dass ich heute 60 bin. Denn wenn ich mich nicht freue, bin ich es auch. Das von Karl Valentin lakonisch propagierte Einverstandensein mit dem Unabänderlichen hat mir schon viele freudvoll ertragene Regentage beschert.
Ich freue mich. Ich freue mich still und nehme der Freude die soziale Resonanz. Ich flaniere in den Seelenlandschaften meiner Wahlheimat West Cork und fühle mich zugehörig. Zum großen Ganzen.
60. Gut. Ich freue mich, dass ich heute 60 bin. Ich freue mich, dass ich nicht wieder 50 geworden bin. Als ich 50 wurde, konnte ich mich der Bedeutung des Unabänderlichen nicht entziehen und verschwendete viel Energie darauf, den Zeitpunkt der vermeintlichen optischen Lebensmitte unbedeutend zu finden. Es wurde über die Maßen anstrengend, den Anlass nicht zu feiern.
Danach habe ich mich gegen das Altwerden entschieden. Gegen die Rente. Gegen das Golfspiel. Gegen die Kreuzfahrt. Gegen die Selbst-Entmächtigung. Es war und es ist eine gute Entscheidung, all das zu sein, was ich sein kann: gelassen, weit offen, närrisch, liebend, wütend, widersprüchlich; ganz, eher als gut.
Natürlich, der Körper verrottet langsam und sicher. Sibylle Berg rät: „Investiert in Eure Hirne, sucht Euch Dinge, für die Ihr brennt. Arbeitet, liebt, dann übersteht Ihr auch den Verfall – nicht unbedingt erfreut, aber doch auch nicht verzweifelt . . . Man kann bis zum Ende alles immer neu erfinden, wenn man sich ein wenig Mühe gibt und nicht stehen bleibt.“
Die Natur macht es vor: Sie ist einfach da, in jeder Jahreszeit, im Frühling, im Sommer, im Herbst und im Winter. I love not Man the less, but Nature more (Lord Byron). Ich freue mich, weil ich heute 60 bin. Ich feiere zu Fuß in den magischen Seelenlandschaften am Atlantik.
In diesem Sinne, freut Euch auch, denn heute ist Lá Bloom.
Euch allen einen schönen Bloomsday.
Mit und ohne Pub Crawl & Inebriation.
Der Wanderer