Wahr, unwahr, möglich. Sie ist schwer zu ertragen, diese tägliche Flut von Nachrichten, Analysten, Deutungen, von Verschwöungstherorien und Kommentaren. Im Mittelpunkt noch immer der gelbhaarige Märchenerzähler mit der roten Krawatte. Wenden wir uns für ein paar Augenblicke ab von der Gegenwart, in der man gerade wieder versucht zu verstehen, was richtig und was falsch, was Wahrheit und was Lüge, was Tatsache und was „alternative Tatsache“ (Neusprech für Lüge) ist.

Schauen wir zurück in die Zeit in Irland, die heute prä-historisch genannt wird, die Zeit, aus der es keine schriftlichen Zeugnisse gibt, die Zeit, von der wir wenig wissen und in der die großen Mythen ihren Feinschliff erhielten: Die Mythen der Hag of Beara, der Invasion der Milesier, der sagenumwobenen Könige Heber und Eoghan Mór (Owen), und der Prinzessin Beara, die uns als lokale Erzählungen auch heute faszinieren. Sie steigen als mündliche Überlieferungen aus sagen-haften Zeiten in unser Gegenwarts-Bewusstsein, Narrative aus der präfaktischen Zeit vor unserer Zeit.

 

Prinzessin Beara

 

Vor einem Jahrzehnt, im Sommer 2008 stieg eine Abordnung der Geschichtsgesellschaft von Castletownbere in die Berge der Beara Halbinsel. Sie war auf einer Mission, hatte eine steinerne Gedenktafel, Werkzeuge und Mörtel im Gepäck. Hoch oben, irgendwo zwischen den Gipfeln von Maulin und Knocknagree, im Hochtal von Ballard Commons, steuerten die Wanderer einen Felsen an. Sie hielten inne, schraubten die Tafel an den Felsen und gedachten einer Frau, die im 2. Jahrhundert nach Christus gelebt haben und irgendwo dort oben in den Caha Mountains begraben sein könnte: Prinzessin Beara.

 

Über zehn Jahre später gibt es wenig Hinweise auf den Gedenkort im nassen Hochtal von Ballard Commons. Mein Freund Peter wusste davon, und Susanne Iles, Beara-Chronistin a.D., berichtete Monate später von der Prozession. Der Spiritus Rector der Mission ist auf dem Weg in die Erinnerungslosigkeit. Der Mythos der Prinzessin Beara aber lebt weiter. Und wer weit genug Richtung Berg gestiegen ist, findet plötzlich auch Wegweiser zum Ziel. Mit Porträt (Foto). Und warum der ganze Aufwand? Nun, die spanische Prinzessin, Tochter der kastilischen Königs Heber, Frau des Eoghan Mór, soll, könnte die Namensgeberin der Halbinsel Beara im Südwesten der grünen Insel gewesen sein.

Owen, der König von Munster und Vorfahre des O`Sullivan-Clans, war den Legenden zufolge nach verlorener Schlacht nach Spanien geflüchtet und von dort später mit seiner jungen Frau Beara nach Beara zurück gekehrt. Er stieg mit ihr auf den höchsten Berg (heute Hungry Hill), und zeigte ihr sein Reich, das Land, das er nach ihr benannte: Die Beara-Halbinsel und Bere Island. Dort oben in den Bergen tauchen die mythischen Figuren aus dem Nebel der Geschichte auf, nur um wieder darin zu verschwinden. An Owen Mór erinnern noch heute die Ortsnamen Rossmacowen, Kilmacowen, Cnoc Eoghan.

Irische Geschichte fasziniert, weil sie in vielen Generationen mündlicher Überlieferung Mythos und Tatsachen fein und undurchdringlich miteinander verwoben hat, und weil im Mythos immer ein wahrer Kern enthalten ist – im Gegensatz zu vielen Einlassungen des Mannes im Weißen Haus.

Zusammengefasst die Fakten: Eine Gruppe zeitgenössischer Irinnen und Iren, die sich der Geschichtsforschung verschrieben haben, wandert in ein Hochtal in den Bergen, bringt an einem einsamen Felsen eine Gedenktafel für eine Frau an, von der niemand wirklich weiß, wann, wie und ob sie wirklich gelebt hat. Sie markiert einen Ort, an dem sie begraben sein könnte. Vielleicht. Sie lässt ein Porträt anfertigen, das die Prinzessin von fast 2000 Jahren zeigen soll. Oha. Die Frau geht hochgeschlossen mit Halskrause im Stil der Mode des spanische Mittelalters. So könnte sie ausgesehen haben. Eher nicht. So könnte es gewesen sein. Vielleicht. Dort könnte sie ruhen. Wirklich? Die Phantasie kennt keine Grenzen, man möchte sie gerne anrufen, wie einen Telefon-Joker, sie fragen . . . Beara . . .

Präfaktisch und postfaktisch, damals und heute: Die Wahrheit will heraus aus dem Nebel ans Licht . . .

Fotos: Markus Baeuchle 

 

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